»Jeder Mensch ist begabt, jeder Mensch ist originell, und jeder Mensch hat etwas Wichtiges zu erzählen.« (Brenda Ueland)

»Die gebremste Feder –

Über das akademische Schreiben«

(c) Gerd Altmann / pixaybay.com / CCO-Lizenz.

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von

Olaf Fritz

»Die Leistung der deutschen Wissenschaftler wird in aller Welt geachtet; dagegen erregt das Deutsch wissenschaftlicher Veröffentlichungen oft  gelindes Gruseln […]. Unbestechliche Forscher und kluge Lehrer, wahre Meister vorurteilslosen Untersuchens und klaren mündlichen Vortragens sind oft wie verwandelt, wenn sie zur Feder greifen.« [1]

Blick auf das Schreibproblem

Wenn man von der Annahme ausgeht, dass es der Mehrheit der Studierenden der Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften in Deutschland schwer fällt, eine schriftliche Arbeit anzufertigen, d. h. also, ihre eigenen Gedanken zu einem spezifischen Sachverhalt ihres Studienfachs sprachlich zu formulieren und in angemessener Form schriftlich darzulegen, dann kann davon ausgegangen werden, dass das wissenschaftliche Schreiben an deutschen Hochschulen ein Problem darstellt [2].

Eine empirische Studie, die an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau zum Thema »Schreibprobleme im Studium« [3] durchgeführt wurde, stützt diese Annahme. In dieser Studie berichten über 80 % der befragten Studenten darüber, dass sie schon einmal Schwierigkeiten mit dem wissenschaftlichen Schreiben gehabt haben [3a]. Knapp 20 % der befragten Studenten gaben ferner an, dass sie sogar die Anfertigung einer schriftlichen Arbeit abbrachen [3b]. Dieses Ergebnis ist beunruhigend, vor allem, wenn man sich bewusst vor Augen führt, dass die Fähigkeit zum wissenschaftlichen Schreiben über Erfolg oder Misserfolg im Studium und letztlich im Berufsleben entscheidet.

Gleichwohl wird immer noch an den meisten Hochschulen stillschweigend von den Studierenden erwartet, dass sie sich die notwendige Kompetenz selbstständig aneignen. Das dies nur unzureichend gelingt, zeigt sich darin, dass »[…] 50 % der Studenten ihr Studium als Konsequenz eines fehlenden Schreiberfolges ab [-brechen]. […] Bei schreibintensiven Fächern wie z.B. Philosophie und Jura liegen die Abbrecherquoten noch höher.« [4] Diese Feststellung ist erschreckend.

Wenn man sich jedoch darüber im Klaren ist, dass das Lesen und Schreiben in Deutschland zu wenig geübt und angeleitet wird, wie der Bildungsforscher Manfred Prenzel in einem Interview mit der Wochenzeitung »Die Zeit« vom 9. Dezember 2004 erklärte, dann ist es letztendlich nicht verwunderlich, dass eine Vielzahl von Studierenden an den Hochschulen Schwierigkeiten bei der Niederschrift von schriftlichen Arbeiten haben [5].

Vor diesem Hintergrund ergibt sich natürlich die Frage, warum fällt es Studierenden der Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften anscheinend schwer, ›wissenschaftlich‹ zu schreiben? Meiner Meinung nach liegt das Problem des Schreibens bzw. wissenschaftlichen Schreibens an den deutschen Hochschulen vor allem darin begründet, dass das schriftliche Artikulieren eine unterentwickelte Kulturtechnik ist [6]. Ohne Zweifel lernen die Meisten Lesen und Schreiben in der Schule. Aber: Nur wenige verfügen über die Fähigkeit, sich klar und prägnant auszudrücken [6a].

Dieses Defizit der Studierenden zeigt sich vor allem, wenn die erste schriftliche Arbeit angefertigt werden muss. Zum anderen scheint es so, dass die Mehrheit der Studierenden zu wenig über den komplexen Vorgang des wissenschaftlichen Schreibens einer Facharbeit weiß.

Dies erstaunt, wenn man sich die Vielzahl von Arbeits- und Lehrbüchern zum Gegenstand des wissenschaftlichen Arbeitens in den Bibliotheken und Buchhandlungen anschaut. Auch gibt es an den meisten Hochschulen Veranstaltungen – zumindest zu Beginn des Studiums – die sich mit dem wissenschaftlichen Arbeiten und letztendlich auch dem wissenschaftlichen Schreiben beschäftigen.

Warum haben dennoch eine Vielzahl von Studenten Schwierigkeiten mit der Abfassung einer schriftlichen Arbeit und werfen letztendlich das Handtuch?

Ein Grund mag darin liegen, dass sich die meisten Handreichungen zu diesem Thema, wie zum Beispiel von Rene Manuel Theisen, Umberto Eco, Georg Rückriem, Joachim Stary und Norbert Franck, Walter Krämer oder Klaus Poenick, vor allem auf grundlegende Aspekte konzentrieren. Das heißt also, dass sie sich auf formale Aspekte des wissenschaftlichen Arbeitens konzentrieren.

Ihr Blick konzentriert sich auf die wichtigen und notwendigen Arbeitstechniken,  wie zum Beispiel das Planen und Organisieren einer schriftlichen Arbeit, Recherche und Dokumentationsverfahren, angemessenes Exzerpieren, Zitieren, Manuskriptgestaltung usw.. Über den eigentlichen Schreibprozess verlieren sie kaum ein Wort.  Umberto Eco schreibt in diesem Zusammenhang zum Beispiel: »Schreibt alles, was euch durch den Kopf geht, aber nur im ersten Durchgang.« [7] Ähnlich knapp bei Walter Krämer: »Schreiben Sie diese Rohfassung möglichst in ›in einem Rutsch‹. Ob von vorne nach hinten oder von hinten nach vorne, ist dabei nicht so wichtig.« [8]

Vor diesem Hintergrund ergibt sich, dass die Beherrschung der Techniken des wissenschaftlichen Arbeitens ohne Zweifel die grundlegende Voraussetzung ist, um an die schriftliche Formulierung einer Arbeit zu gehen. Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass die bloße Beherrschung der wissenschaftlichen Arbeitstechniken nicht ausreicht, um erfolgreich eine wissenschaftliche Abhandlung zu verfassen. Jedoch ist die sichere Beherrschung dieser Arbeitstechniken eine große Erleichterung für die Erarbeitung und Bearbeitung komplexer Fragestellungen sowie deren schriftlicher Darstellung.

Fazit

Angesichts der dargelegten Überlegungen kann der Schluss gezogen werden, dass das wissenschaftliche Schreiben eine spezifische Fähigkeit der Studierenden darstellt, die über Erfolg oder Misserfolg im Studium und Beruf entscheidet. Aus diesem Grund sollte das wissenschaftliche Schreiben als Fähigkeit nicht stillschweigend von den Hochschullehrern vorausgesetzt, sondern vielmehr in angemessener Art und Weise gelehrt werden.

Das heißt also, dass das wissenschaftliche Schreiben im Verlauf der Hochschulausbildung einen größeren Stellenwert bekommen sollte und intensiv von den Studierenden geübt werden muss. Dies würde nicht nur zu einer Verbesserung der Hochschullehre führen, sondern könnte auch die Anzahl der Studienabbrecher reduzieren. Vermutlich ließe sich so auch die Studienzeit verringern, weil notwendige schriftliche Arbeiten früher angegangen und erfolgreich bewältigt werden könnten.

Bei Betrachtung der Vorteile, die sich aus einer professionellen Schreibqualifizierung für die Studierenden ergeben, sollte die Lehre des akademischen Schreibens in den unterschiedlichen Disziplinen einen festen Platz im Rahmen der Hochschulausbildung erhalten. Positiver Effekt dabei wäre, dass das Deutsch akademischer Abhandlungen weniger grauenhaft wäre.

Literatur:

[1] Otto Schumann: „Das wissenschaftliche Manuskript“. In: Ders. (Hg.): Grundlagen und Techniken der Schreibkunst. Handbuch für Schriftsteller, Redakteure und angehende Autoren. – Gondrom Verlag: Bindlach 2004, S. 637, (Kursiv v. O.F.).

[2] Vgl. dazu auch: Thomas Speckmann: „Schreiben lernen“. In: Ludger Heidbrink/Harald Welzer (Hg.): Das Ende der Bescheidenheit. Zur Verbesserung der Geistes- und Kulturwissenschaften. – C.H. Beck Verlag: München 2007, S. 157 – 162.

[3] Jürgen Dittmann u.a.: „Schreibprobleme im Studium – Eine empirische Untersuchung“. In:Konrad Ehrlich/Angelika Steets (Hgg.): Wissenschaftlich schreiben – lehren und lernen. – Walter de Gruyter: Berlin/New York 2003, S. 155 – 185.

[3a] Vgl. Dittmann u.a.: Schreibprobleme im Studium, 2003, S. 179.

[3b] Vgl. Dittmann u.a.: Schreibprobleme im Studium, 2003, S. 168.

[4] Lutz von Werder: Lehrbuch des wissenschaftlichen Schreibens. – Schibri-Verlag: Berlin/Milow 1993, S. 13, (Kursiv v. O.F.).

[5] Vgl. Manfred Prenzel: Interview mit der Wochenzeitung »Die Zeit« vom 9. Dezember 2004, H. 51, S. 75 – 76.

[6] Vgl. so auch Jürgen vom Scheidt: Kreatives Schreiben. Texte als Wege zu sich selbst und zu anderen. Überarb. u. erg. Ausgabe. – Fischer Taschenbuch Verlag: Frankfurt am Main 2003, S. 23.

[6a] Vgl. so vom Scheidt: Kreatives Schreiben, 2003, S. 23.

[7] Umberto Eco: Wie man eine wissenschaftliche Abschlußarbeit schreibt. Doktor-, Diplom- und Magisterarbeit in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Ins Deutsche übersetzt von Walter Schick. 8., unver. Aufl. – C.F. Müller Verlag: Heidelberg 2000, S. 190.

[8] Walter Krämer: Wie schreibe ich eine Seminar-, Examens- und Diplomarbeit. Eine Anleitung zum wissenschaftlichen Arbeiten für Studierende aller Fächer an Universitäten, Fachhochschulen und Berufsakademien. 4., erw. u. akt. Aufl. -Gustav Fischer Verlag: Stuttgart/Jena 1995, S. 170.

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